Zürich – Madrid – Lima … nach insgesamt über 14 Stunden Flugzeit – unterbrochen durch einen 3-stündigen Aufenthalt im Flughafen Madrid – sind wir (6 Teilnehmer/innen und ich als Reiseleiter/Bergführer) froh, in Lima den Iberia-Airbus verlassen zu können. Kurz vor dem Eintauchen in die Nebelsuppe von Lima haben wir das in sanftes Abendlicht getauchte, schroff aufragende Huayhuash-Massiv überflogen und einen kleinen Vorgeschmack erhalten, wie spektakulär die Berge in Perú aussehen. Auf der Fahrt ins Hotel schliessen wir Bekanntschaft mit dem täglichen Verkehrskollaps von Lima, von uns jedenfalls so empfunden.

Den ersten Tag verbringen wir mit dem Besuch des Indian Market und des Inka Market, beide in Fussdistanz zum Hotel gelegen. Für 2 Soles (ca. 60 Rappen) bringt uns der ÖV-Bus in einer ¾-stündigen Fahrt zur Plaza de Armas (oder Plaza Mayor) im historischen Zentrum von Lima – gerade rechtzeitig zur bombastischen Wachablösung, für die wohl königinnengewohnte Briten mehr Begeisterung und Respekt aufbringen können als wir eher majestätsfremden und pomp-aversen Helvetier …

Dass unser Fahrer für die 8-stündige Fahrt von Lima nach Huaraz am nächsten Tag Jésus heisst, nehmen wir als gutes Omen. Nach gut 2 Stunden lassen wir den hartnäckigen Nebel an der Küste endgültig hinter uns und kurven 4’100 Höhenmeter zum Conococha-Pass hoch, wo sich uns erstmals eindrücklich die Cordillera Blanca präsentiert. In Huaraz steigen wir im sehr schön über der Stadt gelegenen Andino Club Hotel mit wunderbaren Ausblicken auf die umliegenden Berge ab. Der Hoteleigner Mario Holenstein lebt seit über 40 Jahren in Perú und ist als «Mister Aktivferien Perú» für alle Belange unseres Aufenthalts in Perú zuständig. Bei Mario, seinem Geschäftsführer Joachim (auch er ein Toggenburger) und dem sehr freundlichen und hilfsbereiten einheimischen Personal fühlen wir uns sogleich zu Hause – die sehr schönen, modern ausgestatteten Zimmer mit spektakulärer Aussicht, die vielseitige Speisekarte und Marios Kochkünste tragen das ihre dazu bei.

Die beiden nächsten Tage sind unter Leitung unserer erfahrenen Trekking-Führerin Mercedes (genannt «Mecce») der Akklimatisation gewidmet – am ersten Tag steigen wir von Huaraz zur Laguna de Wilcacocha, einem kleinen Bergsee auf ca. 3’700m, am zweiten Tag zur wunderschön unter dem gleichnamigen Nevado gelegenen Laguna Churup (4’500m) auf. Am Abend brieft uns Mario gründlich zum Trekking und zur Besteigung des Nevado Pisco; im Beisein des lokalen Bergführers Jorge werden anschliessend Klettergurte und Steigeisen angepasst.

Am nächsten Morgen geht es nach einem frühen Frühstück bereits um 06:00 Uhr los. In einer 3-stündigen Fahrt in einem Kleinbus geht es nach Cashapampa auf 2’900m, dem Startpunkt unseres Trekkings; nach Verlassen der Hauptstrasse im Tal geht es nur noch über Schotterstrassen, was uns zur Überlegung Anlass gibt, ob wohl die Konstrukteure der modernen Mercedes-Kleinbusse derartige Belastungen antizipiert haben … Im Weiler beladen unsere Arrieros (Esel-Piloten) Carlos und Ronald 9 Esel und 2 Pferde mit dem Camping-Material, der Küchenausstattung, dem Proviant und unseren Reisetaschen. Ein weiteres Pferd ist als «Sanitätsfahrzeug» reserviert – es trägt über das ganze Trekking nur meinen Medikamentenkoffer und steht für Notfälle bereit; zusammen mit dem mitgeführten Überdrucksack (portable Kompressionskammer zur Behandlung der Höhenkrankheit) und Mecces Satellitentelefon sind wir für Notfälle gut gerüstet. Der Pfad führt zunächst durch ein enges Tal dem Bach entlang, an dessen Ufer uns unser Koch Yoder zum Mittagessen ein leckeres Gemüseteller vorsetzt. Beim Eintreffen auf dem Campingplatz Llamacorral auf 3’800m stehen dank Jefe Campamento (Camp-Manager) Edwin Huicho unsere Zelte bereits, und wir lernen Marios hervorragende Camping-Infrastruktur mit geräumigen 3er-Zelten für je 2 Personen, dicken Mammut-Liegematten, Solar-Zeltlampen, Bettflaschen, separaten Frauen- und Männer-WC-Zelten und einem geräumigen, mittels Heizstrahler beheizten Essenszelt kennen und schätzen. Wie in der Folge immer nach dem Eintreffen im Camp können wir unsere Flüssigkeitsspeicher mit heissem Bouillon auffüllen und uns mit heissem Wasser waschen.

Am nächsten Morgen serviert uns Mecce zur Tagwache einen Espresso aus der Espressokanne ans Bett – noch im warmen Schlafsack mit dem dampfenden Kaffee in der Hand und mit Blick auf die umliegenden Eisriesen lässt sich der Tag gut beginnen. Nach dem Frühstück folgen wir dem Tal weiter und steigen zum Viewpoint auf ca. 4’200m hinauf, wo uns die fantastische Aussicht auf Alpamayo, Quitaraju, Artesonraju und die Gipfel von Garcdilazo und Paria fast das Mittagessen vergessen lässt. Bereits um zwei Uhr treffen wir im auf 4’150m hoch gelegenen Camp in Taullipampa ein, geniessen in der warmen Nachmittagssonne die überwältigende Umgebung und stecken nach der Katzenwäsche mit heissem Wasser bereits Mitte Nachmittag im Pyjama (sprich Skiunterwäsche), weil wir mittlerweile wissen, dass sofort nach Sonnenuntergang die Quecksilbersäule rasant nach unten abtaucht. Nach dem Abendessen mit Suppe, einem Hauptgang, Dessert und Kaffee verziehen wir uns nach einer Runde Yahtzee bald in den warmen Schlafsack, steht uns doch am nächsten Tag die «Königsetappe» über den Passübergang Punta Unión auf 4’780m und damit fast auf Montblanc-Höhe auf dem Programm.

Zwar erreichen wir am nächsten Tag die Punta Unión in 3 Stunden, aber der Abstieg zieht sich in die Länge, so dass wir insgesamt 8 Stunden bis ins Camp in Paria (3’800m) benötigen. Unterwegs bieten sich uns unbeschreibliche Bilder auf die umliegenden Berggipfel … und auf alle Sorten von Trekkern, die uns entgegenkommen. Zuweilen ist man hin- und hergerissen zwischen der Bewunderung, dass es Leute, denen wir knapp die Besteigung des Berner Gurtens per Standseilbahn zutrauen würden, bis auf den Pass schaffen, und dem Bedauern, wie sie dabei leiden müssen und wenig von der wunderschönen Umgebung mitbekommen.

Die beiden nächsten Tage steigen wir durch die Quebrada Huaripampa ab und durch die Quebrada Morococha hoch mit Übernachtung in Paccha auf 4’400m; am zweiten Tag überschreiten wir auf einer Schotterstrasse im Schneetreiben den Pass Portachuelo de Llanganuco auf 4’750m – oben reissen die Wolken auf und geben den Blick auf die schroffen, blendend weissen und stark vergletscherten Gipfel von Chopicalqui, Huascarán, Huandoy, Chacraraju, Yanapaccha und nicht zuletzt Nevado Pisco frei. Noch am selben Abend verabschieden wir uns im Camp von Cebollapampa (3 ’870m) von den beiden Arrieros Carlos und Ronald, die früh am Morgen mit Eseln und Pferden in einem 15-stündigen Gewaltmarsch in ihr Heimatdorf Cashapampa, dem Ausgangspunkt unseres Trekkings, zurückkehren. Mit dabei ist auch Oshkosh, ein kleiner putziger Hund, der uns in Taullipampa adoptiert und seither auf Schritt und Tritt, über Stock und Stein begleitet hat, ruhig, unaufdringlich, aufmerksam und immer auf allfällige Nachzügler wartend. Wir haben ihn in Anlehnung an den Fido des «SRF bi de Lüt»-Berufswanderers Nik Hartmann getauft, wobei «unser» Oshkosh Niks Oshkosh jederzeit zeigen könnte, wo der Hammer hängt 🙂 In Cebollapampa stossen Jorge und David, unsere peruanischen Bergführer, von Huaraz kommend zu uns und bringen das technische Material mit.

In rund 4 Stunden steigen wir durch Buschwerk und über eine lange Moräne gemütlich zum Refugio Perú auf 4’675m auf, unserem Basislager für die Besteigung des Nevado Pisco. Die Aussicht auf die umliegenden Sechstausender ist spektakulär. Die gemütliche, dank einem Kleinkraftwerk und einer PV-Anlage warm beheizte Steinhütte wurde 1996 fertiggestellt und wird durch italienische Freiwillige der Organisation Mato Grosso bewartet – standesgemäss gibt es zum Mittagessen einen grossen Teller Spaghetti. Den Nachmittag verbringen wir teils beim Vorschlafen auf dem Bett, teil draussen in der warmen Nachmittagssonne. Von meinen sehr netten und zugänglichen peruanischen Bergführerkollegen Jorge, César, Manuel und David erfahre ich viel Interessantes über das Bergsteigen in der Cordillera Blanca; mich interessieren vor allem auch ihre Geh- und Sicherungstechniken im berüchtigten Riffelschnee und den Penitentes (Büssereis). Selbst für die Einheimischen sind einige der spektakulären Grate als selbstmörderisch einzustufen …

Die eher kurze Nachtruhe in den von Mecce eigens für uns mit Leintüchern bezogenen Betten wird durch die Tagwache um 23:30 abrupt beendet. Nach dem eher erzwungenen Frühstück treten wir 20 Minuten nach Mitternacht in die sternenklare, nicht allzu kalte Nacht hinaus. Unser Bergführer Jorge führt uns in sehr gemächlichem, perfekt passendem Tempo zur Moräne hoch. Durch eine sandige Steilrinne hangeln wir uns einzelsprungweise an einer Kette in das ebene Gelände hinunter. Das hier beginnende Blockfeld und die anschliessende Moräne sind eher mühsam zu begehen und erscheinen endlos. Ca. 3½ Stunden nach dem Aufbruch in der Hütte erreichen wir den Gletscherrand, wo wir die Steigeisen montieren und uns anseilen. Über kleine Aufschwünge und um Spalten herum trotten wir den Gletscher hoch; die zunehmende Höhe und intensiver werdende Kälte machen uns zu schaffen. Mit dem ersehnten Sonnenaufgang, der die umliegenden Gipfel zuerst in rosa und dann in gelbes Licht taucht, wird alles viel leichter. Wir erreichen den Gipfel des Nevado Pisco auf 5’752m um Viertel vor acht und haben das Glück, dass der Wind gerade mal eingeschlafen ist. Die Aussicht auf die umliegenden Gipfel und der Tiefblick auf die Farbtupfer der Lagunen und das braune Voralpengebirge sind unbeschreiblich. Im Abstieg erleben wir wie immer eindrücklich, wie leicht dieser in der Höhe im Unterschied zum Aufstieg fällt … wenn da nicht das Blockfeld und der Gegenanstieg auf die Moräne wären … aber da müssen wir in der Vormittagshitze durch. Kurz nach zwölf Uhr trudeln wir in der Hütte ein und dürfen erstmal am Mittagstisch Platz nehmen. Einige gönnen sich anschliessend eine warme Dusche – welch ein Luxus nach dem Trekking und der Besteigung.

Der letzte Trekking-Tag führt uns vom Refugio Perú über zwei Pässe auf Montblanc-Höhe zur berühmten, türkisfarbigen «Laguna 69» auf 4’680m, eindrücklich von Nevado Pisco und Nevado Chacraraju (6’108m), einer der eindrücklichsten Berge, die ich je zu Gesicht bekommen habe, eingerahmt. Unser Aufenthalt in der Abgeschiedenheit und Stille der Berge findet hier ein Ende, kommen uns doch Dutzende von Tagesausflüglern entgegen, von denen viele mangels ausreichender Akklimatisation deutlich an ihre Grenzen stossen. An der Portachuelo de Llanganuco-Passstrasse erwartet uns bereits Jésus mit seinem Kleinbus und bringt uns in einer 3½-stündigen, vornehmlich holprigen Schotter-Fahrt nach Huaraz ins Andino Club Hotel, wo wir mit einem Pisco Sour auf unser Trekking und die Gipfelbesteigung anstossen.

Nach einem erholsamen Schlaf lädt uns Mario zu einem Mittagessen mit peruanischen Spezialitäten ein. Die Speisen sind sehr gut, nur die Nagerei am Meerschweinchenschädel braucht bei einigen doch etwas Überwindung … Den Nachmittag verbringen wir mit Packen; um 23:00 besteigen wir den Nachtbus nach Lima – sehr bequem mit Liegebetten im oberen Stock eines modernen Doppelstock-Busses. Nach dem Frühstück am Flughafen fliegen wir in einem gut einstündigen Flug nach Cusco, einst die Hauptstadt des Inkareichs und bekannt für die archäologischen Stätten in der Umgebung und die spanische Kolonialarchitektur. Am Nachmittag zeigt uns José, unser einheimischer, deutschsprachiger Reiseleiter einige der Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum; besonders beeindruckt sind wir von den fugenlosen Mauern und den Gemälden und Goldschmiedearbeiten in der Kathedrale.

Am nächsten Tag fahren wir mit dem Kleinbus über das farbenprächtige Hochland nach Ollantaytambo und bestaunen die dortigen Ruinen des imposanten Inka-Komplexes – die Vorstellung, wie die riesigen Steinblöcke über eine weite Distanz vom Steinbruch hergebracht und hier zu perfekten Mauern gefügt wurden, beeindruckt uns tief. Der dieselgetriebene Zug von PeruRail bringt uns in anderthalbstündiger gemütlicher Fahrt durch das enge Flusstal des Urubamba nach Aguas Calientes, dem Talort von Machu Picchu. Nachdem wir auf Anraten von Mario noch in Huaraz den Trekking-Chip durch das Touri-Modul ersetzt haben, können uns die Menschenmassen (wir gehören zudem ja auch dazu) nicht aus der Ruhe bringen. Halb Nordamerika scheint sich hier im «Touri-Hotspot Nr. 1 von Perú» ein Stelldichein zu geben, jeden Tag besuchen rund 5’000 Touristen die weltberühmte Ruinenstadt. Dank der straffen, tadellos funktionierenden Organisation – die Besichtigung ist nur in einem vorreservierten Zeitslot möglich, und die Zubringer-Busse sind darauf abgestimmt – und der Ortskenntnis von José, der dank geschicktem Timing und Routenwahl immer wieder den Weg um die Menschenmassen herum findet, ist aber alles halb so schlimm als befürchtet. Die Besteigung des Huayna Picchu siebt dann definitiv aus- zugelassen werden täglich nur 2 Mal zweihundert Personen, und die steilen Steintreppen selektionieren dann noch zusätzlich, so dass wir – wohlakklimatisiert 🙂 – den Gipfel mit dem spektakulären Tiefblick auf die Ruinenstadt für eine Weile ganz für uns haben. Nach der Talfahrt reicht es in Aguas Calientes vor der Rückfahrt mit dem Zug für ein feines Mittagessen vom Buffet. Die Nacht verbringen wir in Yucai im sehr schönen Hotel La Casona de Yucay.

Am Folgetag besuchen wir auf der Rückfahrt nach Cusco die Salinen von Maras und die Inka-Anlage von Moray. Wir erreichen Cusco gerade rechtzeitig zum Public Viewing des Finalspiels der Copa América 2019 zwischen Perú und Brasilien auf der Plaza De Armas – ein lautes, farbiges und fröhliches Volksfest ganz ohne die unschönen Begleiterscheinungen bei entsprechenden Finalspielen in unseren Breitengraden, und dies trotz der 1:3 Niederlage der Selección Peruana.

Am nächsten Tag beginnt mit dem Rückflug nach Lima unsere Heimreise definitiv. Im Hotel in Lima heisst es packen und die ganze Trekking-Ausrüstung und -Dreckwäsche, die uns Mario von Huaraz direkt nach Lima geliefert hat, in die Taschen hineinwürgen. Am Vormittag führt uns Lotti, die Frau von Mario, durch den Indiomarkt und den lokalen Gemüsemarkt und (appetitlichen) Fleischmarkt – im Unterschied beispielsweise zum Besuch des Fisch- und Fleischmarkts von Zanzibar-Stadt mutiert anschliessend nicht ein Grossteil der Gruppe auf der Stelle zu Vegetariern. Mit einem 11½ stündigen Nachtflug Lima – Madrid und dem etwas über zweistündigen Hupfer Madrid – Zürich, wo wir direkt über Thun fliegen und ich versucht bin, mein Haus in Hondrich auf kürzestem Weg mittels Fallschirmabsprung zu erreichen, bringt uns die Iberia zurück in die Schweiz, womit eine grossartige Reise mit unvergesslichen Eindrücken und Erlebnissen ihr Ende findet.

Hasta luego, Perú!

 

Ueli Neuenschwander, Bergführer

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Wunderland Peru – ein Erlebnisbericht von Ueli Neuenschwander