Ich bin wieder mal in Tansania. Ich liebe dieses Land. Immer wieder; immer mehr. Den Kilimanjaro, den stolzen Vulkankegel mitten in der Landschaft, um den sich so viele Geschichten ranken. Den Ngorongoro Krater, mit seiner unglaublichen Vielfalt an wilden Tieren: den Garten Eden schlechthin. Die mächtigen Baobabbäume im Tarangire Nationalpark und ihre zierlich eleganten Schwestern, die Schirmakazien. Die unendliche Weite der Serengeti. Den brennenden Himmel bei unvergleichlichen Sonnenuntergängen. Die sternenklaren Nächte mit der Buschmusik: Tierstimmen von nah und fern.
Und dann natürlich seine Menschen. Ja, ich liebe sie, diese Menschen. Sie sind echt, direkt, ungekünstelt, mal forsch, mal zurückhaltend, meist aber unglaublich spontan und liebenswürdig.
Nach einer langen Reise kommen wir an im Hotel Fortune Mountain Resort in Marangu.
Wir werden herzlich empfangen. Besonders herzlich von Sauadiana. Sie überstrahlt alle. Sauadiana ist jung, 18-jährig, ihr lachendes Gesicht fällt auf. Sie ist mit den typisch afrikanischen weiblichen Rundungen ausgestattet und ausserordentlich besorgt um unser Wohlergehen. Nach jedem Gang beim Dinner fragt sie jeden Gast einzeln:“How was your meal?“ „Delicious“. „Delicious“ wiederholt sie leise und fast andächtig und strahlt dabei: „How was your dinner?“ „Very fine“. „Very fine“ wiederholt sie und ihr Glück ist komplett. Später öffnet sie für uns eine Flasche Wein. Sie hat das wohl noch nicht so oft gemacht. Es ist aber auch ein schwieriges Werkzeug, das sie dazu benützt. Es braucht dazu mehr als zwei Hände. Wir helfen ihr. Ich möchte etwas mehr über den Wein erfahren, denn die Etikette gibt nicht viel her. Weisst du welche Weinsorte das ist, frag ich sie, „Redwine“ gibt sie mir treuherzig zur Antwort und glaubt dabei ehrlich, meinen Wissensdurst damit zu stillen. Herrlich! Nach dem Nachtessen spielen unsere jugendlichen Trekkingteilnehmer/innen ein beliebtes Schweizer Kartenspiel. Sauadiana schaut ihnen dabei interessiert über die Schultern. Später setzt sie sich dazu. Stellt Fragen und spielt wenig später sogar mit. Herrlich. So muss Völkerverständigung funktionieren.
Am ersten Morgen wurden wir durch kräftiges Türklopfen unsanft vom Nachtwächter 1 ½ Stunden vor dem Frühstück geweckt. Ich bat danach die Managerin, uns am nächsten Morgen erst ½ Stunde vor dem Frühstück zu wecken; das sei früh genug. Es ist 6.35 Uhr ich schaue auf die Uhr. Um 7 Uhr sollten wir beim Frühstück sein und ich höre noch keinen Weckdienst. Langes Warten. Um 6.50 Uhr klopft jemand leise an die Türe. Brigitte öffnet und blickt in das strahlende Gesicht von Sauadiana: „Hello, good morning, this is the early wake up call“. Man kann ihr einfach nicht böse sein.
Szenenwechsel. Wir sind auf dem Weg zum Kilimanjaro Farmhouse. Dabei begleitet uns Gaudence, ein Localguide mit vielen Talenten. Er erzählt uns viel über die Lebensart des Bergvolkes der Tschaggas, über ihre Heilkräuter und Pflanzen, das Schulwesen und vieles mehr. Gaudence ist gross gewachsen, gertenschlank, seine Rastafrisur versteckt er unter einer schlappen Wollmütze und er ist eine ruhige, aber charismatische Erscheinung. Er ist Bergführer und Langstreckenläufer, ein sehr schneller sogar. Für den Weg auf den Kilimanjaro und zurück benötigt er 8 Stunden und 1 Minute. Normale Kilimanjaro Alpinisten brauchen dazu 6 Tage. Alle 2 Jahre nimmt er am Jungfraumarathon in der Schweiz teil. Er wird dabei von einigen Schweizern, die ihn hier kennengelernt haben, kräftig angefeuert. Gaudence ist sehr gutaussehend. Und er hat eine schöne Stimme. Er hat sogar eine eigene Band. Und wenn er mit seinen Führer- und Trägerfreunden das allseits beliebte „Jambo-Jambo“ Lied singt, kommt die Stimmung zum Kochen. Kann niemand mehr still sitzen. Ausserdem hat er einen eigenen kleinen Souvenirshop. Bei ihm sind die Preise zwar etwas höher. Trotzdem feilscht niemand, zu viele Sympathien hat er sich zuvor bei uns abgeholt.
Szenenwechsel. Wir sitzen am Lagerfeuer der Tarangire Safari Lodge. Schöne Stimmung. Sanftes Abendlicht. Bald folgt ein unvergesslicher Sonnenuntergang. Ich erblicke Stella. Ich kenne sie aus früheren Begegnungen. Wir verstehen uns gut, sind befreundet. Stella ist vielleicht 40-jährig, gross und kräftig, eine schöne Frau mit warmer Ausstrahlung. Sie ist beschäftigt. Hat viel zu tun. Wirkt leicht gestresst. Trotzdem versuche ich es: „could you do me a favour?“ Sie weiss, was ich von ihr will. „Aber klar doch, my dear“, gibt sie mir postwendend zur Antwort. Sie wird für uns singen. Das schönste aller tansanischen Liebeslieder, in ihrer Muttersprache Suaheli. Malaika, nakupenda Malaika. Mein Engel, ich liebe dich, mein Engel. Es tönt unglaublich süss, wenn sie es intoniert mit klarer, sicherer Stimme. Zwischendurch ein Vibrato, genau so lang, dass es nicht kitschig wird. Ich kämpfe mit den Tränen. Niemand singt Malaika so schön wie Stella. Na, vielleicht früher Miriam Makeba oder Harry Bellafonte; aber gleich danach kommt Stella, da bin ich mir sicher! Malaika, nakupenda Stella.
Szenenwechsel. Wir sind in Endulen, einer Massairegion. Mit unserem Localguide Kimani sind wir unterwegs zu den Ndonyamati Hills, vorbei an verschiedenen Massaiweilern. Kimani ist ein Bilderbuch-Massai; gross gewachsen, schlank mit rot-schwarz kariertem Umhang, Sandalen aus zerschnittenen Motorradpneus und dem obligaten Allzweckstöckli. Kimani hat ausserdem die charakteristische Zahnlücke der Massai bei den unteren Schneidezähnen. Sie kommt besonders zur Geltung, wenn er sein spitzbübisches Lächeln aufsetzt. Er sieht wirklich blendend aus und ist sich dessen auch bewusst. Auf die Frage, ob er schon verheiratet sei, antwortet er: „die Kinder kosten halt viel Geld, die Schule, die Kleider….“ Ich denke, er will sich noch nicht festlegen. Jedenfalls wird er unterwegs laufend von Massaifrauen angesprochen und er versprüht dabei seinen Charme nach Kräften. Hauptsächlich weiss er aber sehr viel über die ungewöhnlichen Lebensgewohnheiten seines Nomadenvolkes zu berichten. Ihre Nahrung, ihre Riten, ihr Liebesleben, ihre Medizin mit Heilkräutern, ihre Religion, ihre Art mit Hilfe von Elefantendung und 2 Holzstücken auf einfache Art Feuer zu entfachen. Auch wenn ihm dies nicht auf Anhieb gelingt, sind wir beeindruckt von seinem Wissen.
Ganz anders begegnet uns Msafiri, unser nächster Führer in der Serengeti. Er ist adrett und blitzsauber gekleidet, spricht gepflegtes Englisch. Ein gebildeter Mann mit Stil, ohne jegliche Flausen. Todernst, hochkonzentriert und wissenschaftlich genau analysiert er jeden Kot, jede Fussspur, jede Pflanze. Für uns eine Lehrstunde in Biologie. Wir lauschen gebannt seinen Ausführungen. Vergeblich warten wir auf einen Joke. Doch mit dem Bushapéro überrascht er uns dann alle. Wir merken, in Afrika findet jeder Charakter sein Pendant.
Die Auflistung von bemerkenswerten Menschen wäre nicht komplett, wenn ich George nicht seinen Platz einräumen würde. George ist unser Driverguide. Gelegentlich etwas wortkarg. Wohl weil er mit sportlichem Tempo über die staubigen und buckligen Naturstrassen braust. Zwar schnell, aber immer mit einer stupenden Sicherheit. Kein Hindernis, das für ihn zu schwierig ist, keine Abkürzung, die er nicht kennt. Zwar ein Haudegen, aber ein Vollprofi.
Auf jede Frage zur Tierwelt weiss er eine Antwort oder ein Witzli. Mit Adleraugen erspäht er Tiere, die wir erst nach längerem Suchen mit dem Feldstecher finden. Das absolute Highlight ist die Jagd eines Geparden auf eine Tompson Gazelle, die wir dank Georges Antizipierung von A bis Z live mitverfolgen können. Danke George. Asante sana. Wir behalten dich und deine wunderbaren Landsleute in unseren Herzen. Asante sana Tanzania.
30.07.2019 Ueli Schlittler, Wanderleiter SBV