Wir gehen auf eine letzte Pirschfahrt am Morgen vor dem Abflug aus dem Mikumi-Nationalpark. Die drei Löwen, die wir gleich bei Ankunft vor drei Tagen entdeckt hatten, finden wir heute ein paar Bäume weiter entfernt. Sie leuen noch immer faul kuschelnd im Schatten auf der Erde. Beim Wasserloch herrscht Hochbetrieb. Gnus, Zebras, Pavianne, Impalas und Elefanten stehen an der Tränke. Die beiden toten Nilpferde von vorgestern sind von den Krokodilen gefressen worden. Eine Schar Tagestouristen aus Sansibar wuselt wie eine Schar aufgeregte Perlhühner umher. Selfies mit Elefanten und Selfies mit Krokodilen, beide weit im Hintergrund.
Am gegenüberliegenden Ufer steckt ein junges Gnu hilflos im nassen Dreck fest. Jutta findet, dass man es doch retten sollte. So ist das Leben hier, erklären unsere Guides: fressen und gefressen werden. Leben und sterben. Als die Tagestouristen weiterziehen verbleiben wir alleine am Wasserloch.
Unser Massaiguide Mereso winkt Jutta zu sich und zusammen fahren die beiden im Jeep hinüber zu dem hilflosen Gnukalb. Sie steigen das Ufer hinunter zum eingesunkenen Kalb. Mereso bückt sich und zieht das Gnu an den Hörnern, aber es kommt nicht hoch. Der Massai schickt Jutta sicherheitshalber zurück in den Jeep. Dann zieht Mereso die Schuhe aus, watet näher an das Kalb heran und geht ernsthafter zur Sache. Nach mehreren Versuchen und kräftigem Ziehen an den kleinen Hörnern – und unseren Anfeuerungsrufen – schafft es das Kalb mit einem Satz aus dem Dreck herauszuspringen. Ermattet sitzt das junge Gnu am Wasserrand und versucht vergeblich aufzustehen.
Strahlend kommen Jutta und der Massai zu uns zurück. Wir applaudieren! 50:50 schätzen wir die Überlebenschancen des Gnukalbes ein. Wir müssen weiter zum Flugfeld. Ein letzter Blick zurück. Immer und immer wieder versucht das kleine Gnu aufzustehen. Erfolglos.
Wir sind bereits im Ruaha Nationalpark unterwegs, als Jutta mich anstupst: «Glaubst Du das Gnukalb hat es geschafft?» Wir überlegen und schweigen. Wir wissen es nicht. Aber wir hoffen es. Leben und Sterben. Fressen und gefressen werden. Alles so nahe beeinander. Alles am selben Wasserloch.