Mit dem Kilimanjaro bin ich sozusagen aufgewachsen. Schon als Kleinkind drehte sich alles nur um diesen einen Hügel. Fast alle Gutenachtgeschichten meines Vaters handelten von irgendeinem Erlebnis von diesem wunderschönen Berg. In meinem Kinderzimmer hing ein Plakat vom Gletscher des Dachs von Afrika. Und mit 14 Jahren durfte ich dann bereits oben stehen, auf dem Gilmanspoint am Kraterrand des Kili. Zehn Jahre später erreichte ich den Uhuru Peak, den höchsten Punkt des Afrikanischen Kontinentes. Dieser Berg, der hat mich infiziert. Der Afrika Virus hat mich gepackt. Auf Safari zu gehen und unsere Gäste durch die herrliche Natur zu begleiten gehört für mich zu den schönsten Erlebnissen Tanzanias. Im Bereich Wandern und Bergsteigen bin ich aber eine Ausnahme in unserer Familie. Ich finde es zwar ganz schön, hin und wieder etwas wandern zu gehen, aber gleich so hoch wie auf den Kili? Naja, das überlasse ich gerne anderen. Falsch gedacht.
Natürlich liess sich auch mein Partner Andreas vom Afrika Virus infizieren. Schon mehrmals waren wir gemeinsam auf Safari und letztes Jahr hat er selber die Studienreise nach Tanzania geleitet. Gereizt hat ihn der Berg schon lange und spätestens als alle Guides letzten Oktober fragten « Andreas when are you coming back to go up to Kili?» brachte ich ihn nicht mehr von der Idee los. Die ewigen Fragen an der Ferienmesse, ob er denn auch schon oben war, nervten ihn zunehmend. Der Kili Virus hatte ihn gepackt.
Relativ spontan entscheiden wir uns im Januar, nun dieses Projekt in Angriff zu nehmen. Wir beschliessen, unsere Flitterwochen, die eigentlich erst im Juni dran wären, vorzuziehen. Denn gibt es ein schöneres Land und ein tolleres Ziel als Tanzania und den Kilimanjaro? Normalerweise empfehlen wir unseren Gästen ein halbes Jahr Vorbereitung. Diese fehlt uns nun und das bereitet mir ehrlich gesagt etwas Bauchschmerzen… Ich nehme mir aber vor, einfach so lange mitzulaufen wie ich Lust habe, denn die Wanderung allein ist schon einfach grandios!
Nach Marangu zu kommen ist für mich mittlerweile wie ein «nach Hause» kommen. Evarest, Gaudence, Jackson, Joshua alle sind da um uns zu begrüssen. Morgen geht’s dann auch gleich los Richtung Berg. Zusammen mit Gaudence, unserem schnellsten Mann am Berg, er braucht gerade mal 8 Stunden auf den Gipfel, und Jackson sowie vier Trägern und einem Koch geht’s los. Am Gate treffen wir noch auf den Nationalpark Chef Charles. Er gratuliert uns zu unseren vorgezogenen Flitterwochen und ist sichtlich stolz, dass wir diese an «seinem» Berg verbringen. Er bittet mich auch gleich, ganz viele Fotos zu machen von den Hütten. Ich müsse unbedingt meinem Vater zeigen, wie toll die neuen Hütten geworden seien, welche sie zusammen geplant hätten. Und dann wünscht er uns viel Glück, das Abenteuer beginnt!
Die erste Etappe ist wunderschön, die Geräuschkulisse und die Blumen, vor allem aber die angenehme frühlingshafte Temperatur. Angekommen in der Mandara Hütte auf 2700 Meter gibt’s dann aber einen kräftigen Wetterumschwung. Es regnet wie aus Kübeln, oder einfach ein richtiges tropisches Gewitter. Bei kurzer Regenpause beschliessen wir, doch noch hinauf zum Maundi Krater zu wandern. Für mich so ziemlich der schönste Abschnitt des Berges. Kurz nach Abmarsch schüttet es aber wieder unerbittlich. Gaudence, nicht nur schneller Läufer sondern auch stolzer Sänger einer Band, stimmt für uns das Kilimanjaro Lied an. Gänsehautfeeling.
Die Hütten sind wirklich wunderschön geworden, viel sauberer und heller als die alten. Und da so wenige Leute am Berg unterwegs sind, bekommen wir sogar eine Hütte für uns beide allein. Unsere Honeymoon Suite sozusagen. Unser Kellner Jonathan bringt uns warmes Wasser um zu «duschen», herrlich frisch fühlen wir uns! Wir nutzen den restlichen Abend um etwas vor der Hütte zu sitzen und das Treiben zu beobachten.
Bereits schon am nächsten Morgen ist es wieder strahlend schön! Ein fantastischer Sonnenaufgang über dem Nebelmeer. Auf der Wanderung hoch zur Horombohütte entdecken wir Chamäleons und schon bald sehen wir die ersten Senezien. Andreas ist begeistert, auf diese Pflanze hat er sich sehr gefreut. Gegen Nachmittag zieht Nebel auf, ich bin fast ein wenig dankbar, denn so sehen wir unser Ziel nicht mehr vor Augen. Ich bin nämlich schon ziemlich müde. Nur nicht hochrechnen, wie lange es noch geht, sage ich wie ein Mantra in mir auf. In der Hütte bei salzigem Popcorn und dem wohl besten Stroganoff erholen wir uns aber schnell wieder. Am Abend setzt für kurze Zeit ein Tropenregen ein. Wie kuschlig es sich anfühlt, sich in den Schlafsack zu verkriechen. Was sind wir froh, eine schützende und trockene Hütte um uns zu haben. Der Abend ist wieder sternenklar und wir versuchen uns trotz der eisigen Kälte im Fotografieren des Sternenhimmels.
Am nächsten Tag ist unser «Ruhetag». Mehrmals sage ich zu Andreas: Wenn wir wieder zuhause sind, dann streiche ich aus allen Programmen die mir in die Hände kommen das Wort «Ruhetag». Wir nennen es jetzt «Akklimatisationstag», denn geruht wird definitiv nicht. Wir laufen hoch bis zum Kibosattel, vorbei an den Zebrafelsen, und geniessen den wohl schönsten Ausblick, den man auf den Kili haben kann. Wir befinden uns zwischen Mawenzi und Kibo, schauen hinunter in die unglaubliche Weite. Nun sehen wir auch die Aufstiegsroute vor uns, im Zickzack geht es hoch durch eine ewig scheinende Geröllhalde. Phu, wenn das nur gut geht! Mein Anfangsgedanke, ich laufe einfach mal so weit mit wie ich möchte, habe ich schon lange aufgegeben. Denn Erstens: Mögen tue ich schon lange nicht mehr, Zweitens: Der Ehrgeiz hat mich nun doch gepackt und Drittens: Während der ganzen Reise denke ich mir, Blog schreiben mit Erfolgserlebnis macht einfach viel mehr Spass 😊 Also Danke liebe Leser 😉
Der nächste Tag beginnt mit einem herrlichen Frühstück draussen auf der Terrasse, das Rührei und die frischen Früchte, die gestern aus dem Tal gekommen sind, schmecken herrlich. Und dann geht’s zuerst wieder hoch durch Senezien bis hinauf zum letzten Wasserpunkt. Ab dann folgt eine mondähnliche Landschaft, Geröll und Stein. Ich habe keinerlei Höhenbeschwerden, kein Kopfweh, einfach nichts. Trotzdem sind wir sehr erleichtert, als wir endlich am frühen Nachmittag in der Kibo Hütte ankommen. Wir machen alles bereit für den nächtlichen Aufstieg. Bevor wir uns kurz schlafen legen gehen wir nochmals Popcorn essen. Andreas pflegt nachher die ganze Reise zu sagen, dass dies die besten Popcorn seines Lebens waren!
Auch die Kibo Hütte ist neu und viel sauberer. Gegessen wird noch in der alten Hütte, die nun aber mehr Platz bietet. Auf dem Weg zu unserem geliebten Popcorn begegnen wir Gaudence, in Jogginghose und Shirt geht er noch trainieren. Wir schütteln nur den Kopf und freuen uns, noch ein bisschen zu ruhen. Bereits um 17 Uhr gibt’s dann Abendessen. Andreas hat Appetit, ich kaue etwas gelangweilt auf meinen „Darvida“ rum. Und dann gehen wir ins Bett. 5 Stunden bleiben uns an Schlaf bevor es losgeht. Das nächste Mal als ich auf die Uhr schaue sind es noch 4 Stunden und 50 Minuten. Ich kehre mich, 4 Stunden und 45 Minuten. Die Nacht der langen Messer, wie meine Mutter immer sagt. Ich weiss, dass sie zu Hause an uns denken. Seit dreissig Jahren, jedes Mal, wenn wir Samstagnacht aufwachen, denken wir an unsere Gäste. Diese Nacht wird es meiner Familie nicht anders gehen. 4 Stunden und 30 Minuten. Ich probiere mich zu beruhigen, mein Vater sagt immer, ruhen sei auf dieser Höhe gleich effektiv wie schlafen. 4 Stunden und 28 Minuten. So vergehen die nächsten 3 Stunden… Irgendwann schaue ich das gefühlte Hundertste Mal auf die Uhr und sehe noch 15 Minuten. Andreas kann auch nicht schlafen. Er meint, es sei wie eine Prüfung, aber eine, auf die wir uns nicht vorbereitet haben… Ich schlafe ein. Immerhin 15 Minuten habe ich diese Nacht geschlafen! Als Kind mit 14 schlief ich seelenruhig 5 Stunden durch.
Und nun geht’s endlich los! Eine sternenklare Nacht erwartet uns, wir sehen in die weite Ebene von Moshi und Kenia. WOW! Ein ganz kleiner Mond scheint am Himmel. Wir sind sprachlos ob der Schönheit dieses Berges. Gaudence macht das Tempo. Ich nehme mir vor, so lange wie möglich einfach durchzulaufen, ohne zu jammern und dauernd Pause zu machen. Je weiter hoch ich mit dieser Taktik kommen würde, desto weniger lang würden dann mein Pole Pole – Pause Pause dauern. Letztes Mal stand ich erst um halb 11 auf dem Uhuru Peak, die schnellste Läuferin war ich noch nie. Darum nun diese Taktik. Hirn ausschalten, Podcast hören, laufen. Bald und ohne grosse Probleme erreichen wir die Hans Meyer Höhle. Ich bin zwar etwas müde aber fühle mich topfit. Weiter geht’s, einfach auf die Schritte von Gaudence schauen, Musik hören und laufen. Laufen und laufen. Mittlerweile sind wir die erste Gruppe, ein Lichtermeer der Stirnlampen unter uns. Der Abstand vergrössert sich, wir sehen die ersten aufgeben. Ich bin etwas müde, liegt das am mangelnden Schlaf, an der mangelnden Kondition oder doch an der Höhe? Egal, laufen, Musik hören, laufen. Plötzlich setzt der Wind ein, es wird bitter kalt. Ich schaue auf die Uhr, es ist 4 in der Früh. Noch etwa 2-3 Stunden bis zum Kraterrand. Mit meinem Tempo wahrscheinlich etwas länger, denke ich mir. Und dann kommt ja noch der Jamaika Point, vor diesem fürchtet es mich. Ein weiterer Blick auf die Uhr, Viertel nach Vier. Andreas fragt Gaudence, wie lange es noch dauere bis zum Kraterrand. Ich möchte die Antwort nicht hören. Nur noch 2-3 Stunden denke ich mir. Gaudence lacht und sagt: etwa noch 35 Minuten …aber dies sei «only a joke». Ich finde seinen Joke überhaupt nicht lustig. Im gleichen Atemzug beginnt er sein Kili Lied zu singen. Dies übertrifft alle meine Musik, die ich gehört habe. Und dann verstehe ich seinen Joke, wir stehen bereits oben auf dem Gilmanspoint! WOW, habe ich irgendetwas verpasst? Wir stehen tatsächlich um 4 Uhr 20 auf dem Kraterrand des Kilimanjaro! Unglaublich! Gigantisch, nicht in Worte zu fassen! Unsere Guides singen und tanzen ausgelassen. Ich lasse mich sogar zu einem Tanz auffordern, zwar überhaupt nicht im Takt, aber das ist mir nun so egal. Einfach den Emotionen freien Lauf lassen! WOW sprachlos! Im Sternenlicht geht es weiter Richtung Uhuru Peak. Es hat geschneit. Gaudence hat uns dies gestern Abend schon erzählt, seine Joggingrunde führte ihn auf den Kraterrand… Wir leiden nun doch noch etwas, es ist kalt, eisig kalt und wir sind müde. Und dann stehen wir noch im Dunkeln auf dem höchsten Punkt Afrikas! Auf diesem Berg, von welchem wir so lange geträumt haben. Nun sind wir oben! Wir können unser Glück kaum fassen. Ich realisiere es noch nicht ganz, hoffe einfach, dass es sich nicht um einen Traum handelt und ich immer noch in der Kibo Hütte liege. Dann geht die Sonne im Osten auf. Ein Naturspektakel, welches es schöner nicht gibt. Wir geniessen den Moment. Einfach nur sprachlos. Gaudence stimmt ein weiteres Mal den Kili Song an, auf 5895 Meter hat er noch Luft zu singen und zu tanzen. WOW!
Nach unserem Gipfelsturm geht’s noch weiter auf Safari und zum Baden auf Mafia Island. Flitterwochen dürfen schliesslich noch genossen werden! Es vergeht aber kein Tag, wo wir nicht an den Kili zurückdenken und einfach nur stolz sind auf das, was wir geschafft haben. Und Andreas hat die Frage, ob er auch schon oben war, nun plötzlich gerne!