70 Grad Unterschied erlebte ich letztes Wochenende bei meiner Rückkehr in die Schweiz. Ja, ich war die letzten Wochen in einer anderen Welt, in Alaska auf dem kältesten Berg der Welt auf dem Denali oder früher Mount Mc Kinley genannt. Es war für mich persönlich ein grossartiges Ziel. Sich selber Ziele setzten, sich auf diese vorbereiten, das erkläre ich immer wieder bei den Informationsabenden in Seuzach. Neue Grenzen zu erfahren bringt nicht nur Entbehrungen, sondern grossartige Glücksgefühle. Schon die Vorbereitungen geben einem Lebensfreude: Joggen, Velofahren, Bergtouren… und immer im Hinblick, dass es bald losgehen wird.
Am 9. Mai ging es dann tatsächlich los: Ich fliege ab nach Alaska mit einem Zeitfenster von einem Monat. In dieser Zeit möchte ich den höchsten Berg Nordamerikas besteigen, den Denali 6197 m hoch. Das Wetter und die Kälte sind unberechenbar. Mit den starken Winden kann es sehr schnell 40 – 50 Grad Minus werden. Dadurch erreichen auch nur ganz wenige Bergsteiger den Gipfel. Das weitere Spezielle an diesem Berg ist, dass jeder selber das ganze Gepäck tragen und zur Hälfte mit einem Schlitten ziehen muss. Am ersten Tag klappt der Flug wegen dem Wetter nicht, aber am folgenden Tag werden wir auf dem Flug von Talkeetnah in die Alaska Range belohnt mit einer eindrücklichen Gletscher- und Berglandschaft. Mitten auf dem Gletscher setzt das Flugzeug auf.
Nun gilt es alles zu packen; Zelte, Kocher, Benzin, Schneeschaufel, Lebensmittel für mehrere Wochen usw. Es wird alles auf den Schlitten und in den Rucksack geladen. Selbst eine mobile Toilette kommt mit, denn der Nationalpark Denali möchte, dass der Berg sauber bleibt. Ja, mein 100 Liter Rucksack wird voll und schwer…! Jetzt kann ich es wieder einmal selber abschätzen, was unsere Sherpa Träger in Nepal oder unsere Dschagga Träger am Kilimanjaro leisten. Da habe ich nach wie vor grossen Respekt von diesen Anstrengungen, die sie für uns erbringen. Auf dem Weg zum Gipfel am Denali werden insgesamt 5 Camps errichtet. Das viele Material kann nicht aufs Mal zum nächsten Camp getragen werden, wir nehmen jeweils nur die Hälfte des Gepäcks, müssen dadurch jedoch 2 x die gleiche Etappe laufen. Für die Depots machen wir zwei Meter tiefe Löcher im Schnee und markieren sie mit einer Lawinensonde. Das Wetter zeigt sich von der guten Seite, aber nachts wird es bitter kalt und im Zelt drinnen misst man immer noch 25 Grad minus. Bereits nach 8 Tagen erreiche ich mit den anderen Expeditionsmitgliedern das Camp 4 auf 4350 m, der ideale Ort, um sich in Position zu bringen für den dreitägigen Gipfelsturm. Der Wetterbericht meldet, dass in drei Tagen ein Orkan aufkommen soll mit viel Schnee und 180 km/h, an eine Gipfelbesteigung ist in diesem Zeitraum also nicht zu denken. Wir beginnen sofort damit, Schneemauern zu bauen und unsere Zelte zu sichern. Sicherheitshalber fragen wir noch den Wetterbericht von Meteo Schweiz an für den Denali. Dieser sagt, die Front komme vermutlich einen Tag später rein. Nun gilt es zu entscheiden, sollen wir ins Hochlager 5 auf 5250 m hochsteigen mit dem Risiko, dass wir dort evtl. 3 – 4 Tage gefangen sind? Wir beschliessen das Risiko einzugehen und nötigenfalls in derselben Nacht abzusteigen, sollte das Wetter eine Besteigung nicht zulassen.
Im Hochlager 5 gibt es Entwarnung vom neuen Wetterbericht, die Front kommt wirklich einen Tag später! Morgens um 9 Uhr bei empfindlicher Kälte brechen wir auf. Ein Traumtag erwartet uns! Jetzt wird uns bewusst, wie frei stehend der Denali ist und alle anderen Berge in diesem Massiv um einiges überragt. Schlussendlich erreichen wir Abend um 18.00 Uhr den Gipfel 6197 m, den höchsten Berg Nordamerikas. Schlicht ergreifend, hier oben zu stehen. Dieser Weitblick bis hinunter in die Tundra, die fast 6000 m unter uns liegt, ich bin den Tränen nahe. Jetzt gilt es aber sofort runter zu steigen ins Hochlager 5 und nochmals eine kurze bitterkalte Nacht auszuharren, bevor früh morgens der Abstieg fortgesetzt wird ins Camp 4 auf 4350 m. Wir kommen bereits um 11.00 Uhr im Camp an, aber der Wetterumbruch mit dem Orkan kündigt sich bereits an. Wir beschliessen uns kurz hinzulegen in unseren Zelten und dann die ganze Nacht abzusteigen bis ins Basislager Camp 1 auf 2150 m, denn sonst werden wir für die nächsten paar Tage am Windycorner nicht mehr vorbei kommen. Beim Windycorner auf 4200 angekommen, tobt der Sturm bereits mit 120 km/h. Es ist hart am Limit! Nach einem gewaltigen Abstieg und den Naturgewalten ausgesetzt erreichen wir um 06.00 Uhr morgens das Basislager. Jetzt nur noch die Zelte aufstellen und schlafen, schlafen und nochmals schlafen. Am Abend kommen die Lebensgeister wieder zurück, wir lassen unseren Gefühlen freien Lauf und stellen uns vor, wie schön jetzt ein Bier wäre, ein gutes Stück Fleisch, grüne Blumenwiesen usw.
Für mich war es eine grossartige Erfahrung wie in Nordamerika alles organsiert und zum Teil überorganisiert ist. Aber wie immer, andere Länder andere Sitten. An diese Expedition werde ich mich mein ganzes Leben erinnern können. Die einzigartige Landschaft, die extreme Abgeschiedenheit, die Naturgewalten und natürlich auch die professionellen Bergführer und super Reisekollegen. Eine solche Reise gibt mir auch immer wieder viel Energie und Ideen für Aktivferien.
Hansruedi Büchi