Expedition Aconcagua, 6962 m 28.12.19 – 17.01.2020
Schweizer Bergführer Marco Bomio
28.12.19
Bye Bye Bar Flughafen Zürich am Vormittag. Nach und nach treffen sieben der zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Aconcagua Expedition ein. Drei weitere werden erst in Mendoza dazu stossen. Gemeinsam checken wir ein. Eine lange Reise von Zürich über Rom nach Buenos Aires und weiter nach Mendoza steht uns bevor.
29.12.19
Am frühen Vormittag landen wir in Mendoza. Hier wartet bereits Pablo auf uns. Er wird für die nächsten fast drei Wochen unser einheimischer Führer sein. Der erste Kontakt ist herzlich und ich habe ein gutes Gefühl. Auf Anhieb verstehen wir uns. Das kann noch wichtig werden, wenn es gilt, unterwegs gemeinsam Entscheidungen zu treffen.
Im Hotel treffen wir auf die drei anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und sind somit komplett. Unsere Gruppe besteht aus Brigitte und Jacques mit ihrem Sohn Joël, Armin, Giancarlo und Gabriel und die beiden Paare Christine und Andreas, Myrta und Roland. Wird die bunt zusammen gewürfelte Gruppe zu einem Team zusammen wachsen?
Beim Warten auf das Nationalpark-Permit und dem ersten gemeinsamen Mittagessen können wir uns schon einmal näher kennen lernen.
30.12.19
Mit Sack und Pack fahren wir von Mendoza ins über 180 km entfernte Los Penitentes, ein ehemaliges Wintersportgebiet mit ein paar Skiliften und Hotels. Unterdessen kann hier nicht mehr Ski gefahren werden. Unser Hotel dient als Ausgangspunkt für die Expeditionen zum Aconcagua, sowohl für die Normalroute von Horcones zum Basislager Plaza de Mulas wie auch für die „Rundumroute“ von Punta de Vacas zum Basislager Plaza Argentina auf der Ostseite des Aconcagua, welche wir vorhaben. Hier können wir auch eine Tasche mit sauberen Kleidern zurück lassen.
31.12.19
Endlich geht es los! Wir werden einige Kilometer talabwärts zum Parkeingang Punta de Vacas gebracht. Unterdessen ist auch Isabella, genannt „Chabe“ zu uns gestossen. Die junge Bergführerin aus Patagonien ergänzt unser Führerteam.
Mit leichten Tagesrucksäcken erreichen wir unser erstes Camp „Pampa de Leñas“, was soviel wir „Ebene mit dem Brennholz“ heisst. Zum Nachtessen gibt es traditionsgemäss ein von den Arrieros (Maultiertreibern) zubereitetes Assado (Grillade). Um 20 Uhr stossen wir auf das neue Jahr an. In der Schweiz ist jetzt schliesslich Mitternacht!
1.1.20
Die zweite Etappe zur „Casa de Piedra“ (Steinhaus) läuft ähnlich ab wie die erste. Wir gewinnen langsam an Höhe und befinden uns bereits auf gut 3200 m. Wie schon am Vortag können wir in einem grossen Zelt essen. Pablo und Chabe verköstigen uns bestens und verteilen jeweils auch einen Lunch für unterwegs. Vor allem aber kochen sie genug Wasser ab, was mit zunehmender Höhe immer wichtiger werden wird. Genug trinken!
2.1.20
Heute werden wir schon die Plaza Argentina auf knapp 4200 m erreichen. In diesem Basislager werden wir dann auch mehrere Tage bleiben und uns optimal akklimatisieren können. Doch zuerst gilt es noch den breiten und am frühen Morgen kalten Fluss zu überqueren. Nur Chabe, welche Maultiere nicht mag und Andreas mit seinen langen Beinen machen das zu Fuss. Wir anderen lassen uns von den Arrieros auf ihren Tieren ans andere Ufer bringen, was ihnen ein begehrtes, kleines Zusatztrinkgeld einbringt! In der Plaza Argentina werden wir von Lucinda und ihrem Team herzlich empfangen. Im grossen Dom gibt es Getränke aller Art und eine feine Pizza für den ersten Hunger. Schnell sind die Schlafzelte aufgestellt und alle geniessen eine warme Dusche.
3.1.20
Am Vormittag steht als erstes der Check beim Arzt auf dem Programm. Alle werden befragt, allen wird der Sauerstoffgehalt des Blutes, der Blutdruck und der Puls gemessen und die Lunge abgehört. Nach über anderthalb Stunden steht die Höhentauglichkeit des ganzen Teams fest!
Eigentlich ist heute ein Ruhetag angesagt. Immerhin haben wir gestern fast 1000 Höhenmeter überwunden. Ein Teil der Gruppe ist aber sofort einverstanden, am Nachmittag den Cerro Colorado ca. 4650 m zu besteigen. Gesagt, getan! Andreas, Gabriel, Jacques, Joël, Myrta, Pablo und ich brauchen knapp drei Stunden für die Besteigung inklusive 30 Minuten Gipfelrast!
4.1.20
Brigitte hat Geburtstag! Schon zum Frühstück gibt es eine Geburtstagstorte, weil wir heute den Materialtransport ins Lager 1 im Sinn haben und am Abend entsprechend müde sein werden.
Wer sein Material und das Essen selber trägt kommt auf 13 bis 16 kg, nicht ganz ohne auf dieser Höhe. Wer einen Träger engagiert, kann mit dem leichten Tagesrucksack aufsteigen
Kurz unterhalb von Lager 1 erleben wir einen Schreckensmoment: 50 Meter über uns lösen sich 10 bis 15 Tonnen Fels! Geistesgegenwärtig können sich alle in die eine oder andere Richtung in Sicherheit bringen. Wie bei uns in den Alpen taut der Permafrost auch in den Anden immer mehr auf und die Steinschlagtätigkeit nimmt dementsprechend zu. Zum Glück gibt es auf unserer Route nur ganz wenige heikle Stellen.
Dreissig Minuten später sitzen wir alle im Esszelt von Lager 1, erholen und verpflegen uns. Beim Abstieg sind wir nur kurze Zeit der kritischen Stelle ausgesetzt. Alles geht gut und bald sind wir zurück im Basislager.
5.1.20
Der Wetterbericht sieht in den nächsten Tagen starken Wind und teilweise sogar Schneefall voraus. Pablo und ich sind uns schnell einig, dass der 10. Januar als Gipfeltag nicht günstig ist. Am 11. oder 12. könnte es klappen. Wir entscheiden deshalb, einen Tag länger im Basislager zu bleiben, anstatt im Lager 1 oder 2 bei schlechtem Wetter Energie zu verlieren.
6.1.20
Einige nutzen den zusätzlichen Ruhetag für eine zweite Besteigung des Cerro Colorado. Dieses Mal kommen auch Brigitte, Giancarlo und Armin mit, der sich langsam von seinen Magenproblemen erholt.
Christine entscheidet sich, die Expedition abzubrechen. Sie hat von Anfang an „nur“ Lager 3 und nicht den Gipfel im Visier gehabt. In Anbetracht der tiefen Temperaturen und des starken Windes in den kommenden Tagen fällt sie eine für sie weise Entscheidung.
7.1.20
Frühstück um 8 Uhr. Schon vorher kommt der Heli und bringt „Bergsteiger“ eines amerikanischen Anbieters zur Plaza Argentina. Christine fliegt mit dem ersten Flug zurück nach Horcones und ist bald im warmen Hotelzimmer in Los Penitentes! Sie wird in den kommenden Tagen ein interessantes „Privatprogramm“ mit Velofahren, Reiten und dem Besuch von Weingütern geniessen.
Um 9.45 Uhr starten wir bei schönstem Wetter und wenig Wind Richtung Lager 1.
Doch das Wetter wird langsam garstig. Wie letztes Mal treffen wir nach 5 Stunden im Lager 1 ein. Myrta und Roland folgen mit Chabe etwas später. Alle Zelte stehen schon. Die Träger haben einen tollen Job gemacht. Ein Schneesturm beginnt. Um 19 Uhr gibt’s Nachtessen im geräumigen Esszelt.
8.1.20
Das Wetter ist lausig. Die ganze Nacht rüttelte der Wind am Zelt und ich habe kaum länger als eine Stunde am Stück geschlafen. Um 9.45 Uhr brechen wir trotzdem zum Lager 2 auf, um Material hochzutragen. Zeitweise bringt der starke Wind uns aus dem Gleichgewicht. Trotzdem erreichen wir Lager 2 in erstaunlichen 2 Stunden und 15 Minuten. Runter brauchen wir knapp 45 Minuten! Mit dabei waren Pablo, Joël, Gabriel, Jacques und Andreas. Die anderen schafften es immerhin bis in den Col. Da sie Träger engagiert haben, brauchen sie auch nicht bis ins Lager 2 aufzusteigen.
Wie weiter, das ist die grosse Frage. Schliesslich entscheiden wir uns, trotz des immer noch garstigen Wetters, morgen ins Lager 2 aufzusteigen. Die neusten Windprognosen sind etwas schlechter, aber der 11. Januar ist immer noch einigermassen erfolgversprechend.
9.1.20
Für einmal teilen wir das Team auf: Ich starte mit einer ersten Gruppe, um eventuell den Trägern beim Aufstellen der Zelte zu helfen. Pablo übernimmt die zweite Gruppe und Chabe läuft mit Myrta und Roland.
Da erreicht uns vom Lager 3 die Hiobsbotschaft, dass das Esszelt den nächtlichen Sturm nicht überlebt hat. Ohne Esszelt könnte das Ganze noch härter werden! Kochen in einem kleinen Zelt und Verteilen des Essens in jedes der fünf Schlafzelte.
Zum Glück ist das Wetter besser als der Wetterbericht! Wir starten wie geplant.
Zwischendurch ist der Wind schon sehr stark. Im Col müssen wir richtig gegen ihn ankämpfen. Wir kommen kurz nach 12 Uhr im Lager 2 an. Auch die Träger kommen und wir können die sechs Zelte bei etwas böigem Wind aufstellen.
Zum Glück gibt es noch Wasser im Lager 2. Man muss es einfach mit Geduld aus einem kleinen Rinnsal schöpfen.
10.1.20
Heute steigen wir bei gutem Wetter ins Lager 3 auf. Unsere Zelte sind schon aufgestellt, als wir kommen. Von der Plaza de Mulas bringen Träger einen alten Dom, den wir mit vereinten Kräften aufstellten. Auf jeden Fall ist das besser als nichts! Kochen und Essen sind so doch viel einfacher. Nur das Wasser muss aus Schnee geschmolzen werden.
Langsam spitzt sich die Lage für die Aconcaguabesteigung zu. Wer kommt mit?
Brigitte entscheidet sich früh, nicht mitzukommen. Sie hat sich schon von Anfang an die Umrundung des Aconcagua zum Hauptziel gesetzt. Auch für Roland kommt der Gipfel nicht in Frage. Alle andern wollen mit, also sieben Gäste und drei Bergführer.
Tagwache ist auf 4 Uhr angesetzt mit Frühstück im Zelt. Aufbruch 5 Uhr.
11.1.20
Die ganze Nacht tobt ein sturmartiger Wind. Wir müssen einzelne Zelte noch besser befestigen! Das „WC-Zelt“ wird einfach weggeblasen!
Um 3 Uhr kommt Pablo zu mir und meint, so habe es keinen Sinn aufzubrechen. Wir machen ab, dass ich um 4 Uhr zu ihm komme, um die Lage noch einmal zu beurteilen. Ich stehe auf und gehe auf einen Rundgang. Mir fällt auf, dass der Wind bei unseren Zelten am stärksten ist. Ich sehe auch, dass sich weiter oben Leute zum Abmarsch bereit machen. Ich schlage Pablo vor, dass wir Frühstück um 4.30 Uhr und Abmarsch um 5.30 Uhr ansetzen. Umkehren können wir ja immer, wenn sich der Wind nicht etwas beruhigen will.
Ich gehe zu jedem Zelt und gebe die Programmänderung bekannt. Ich bringe Wasser in jedes Zelt. Dabei erklärt Myrta, dass sie nun doch nicht mitkomme. Also sind wir drei Führer und sechs Gäste.
Wir starten bereits im 5.15 Uhr, weil schon alle abmarschbereit sind. Nach kaum 30 Minuten erklären Giancarlo und Armin Forfait. Es laufe ihnen heute nicht. Schade, aber auch vernünftig. Also bleiben noch vier Gäste und drei Führer übrig.
Zeitweise ist der Wind noch heftig und es ist kalt wie üblich am Aconcagua. Wir kommen aber gut vorwärts, montieren für die Traverse die Steigeisen und sind bei „La Cueva“ plötzlich die vorderste Gruppe, ohne dies beabsichtigt zu haben!
Noch fehlen rund 300 harte Höhenmeter. Die Gäste können die Rucksäcke zurück lassen und so erreichen wir den Gipfel in genau acht Stunden. Wir bleiben ganze 40 Minuten oben und fotografieren, was die Kameras hergeben. Für den Abstieg brauchen wir etwas über zwei Stunden. Eine gute Leistung des ganzen Teams!
Jacques, Brigitte, Joël und Gabriel steigen mit Pablo um 17 Uhr noch zur Plaza de Mulas ab. Alle andern bleiben oben und werden morgen beim Abräumen von Camp 3 helfen und dann gemütlich absteigen.
12.1.20
Ich schlafe auf fast 6000 Meter fast ohne Unterbruch durch und muss nicht pinkeln! Offenbar war der gestrige Tag für den Körper nicht ohne!
Wie vorgesehen gibt es nach Sonnenaufgang Frühstück und dank tollem Teamwork sind alle Zelte innert 45 Minuten abgebaut und dies bei heftigem Wind!
Während Andreas, Armin und Gian Carlo zusammen runter gehen, begleite ich Myrta und Roland. Die drei brauchen keine zwei Stunden, wir etwas mehr als vier. Das macht mir noch etwas Sorgen für den 26 km langen Abstieg am nächsten Tag.
Auf der Plaza de Mulas haben einige Anbieter noch einmal aufgerüstet. Fauteuils, Töggelikasten, grosse Zelte mit zweistöckigen Betten…
Ich bin zufrieden mit einer warmen Dusche und einem Bier. Oder waren es zwei?
Assado mit Salat und Malbec gibt es zum Nachtessen. Nach dem Essen verabschieden wir Chabe. Sie geht schon übermorgen wieder Richtung Gipfel.
Ich will Myrta und Roland einen günstigen Helirückflug schmackhaft machen, da die Parkverwaltung morgen einen Materialtransport macht und der Rückflug sonst leer wäre. Die beiden möchten aber lieber laufen. So beschliessen wir, etwas früher aufzubrechen.
13.1.20
Ich starte mit Myrta und Roland um 7.30 Uhr. Der Rest der Gruppe folgt mit Pablo um 9.30 Uhr.
Wir kommen schneller vorwärts, als ich erwartet habe! Roland schlägt ein flottes Tempo an und wir erreichen das Lager Confluencia um 13.15 Uhr. Nur Andreas, Gabriel und Joël holen uns ein. Gerade als wir mit dem kleinen Lunch fertig sind, kommt Pablo mit dem Rest der Gruppe.
Die Rechnung geht auf: Wir treffen alle mit nicht allzu grossen Abständen in Horcones ein und werden von Facu sicher Richtung Los Penitentes chauffiert. Bei Puente del Inca gibt es eine längere Pause, weil wir auf die Maultiere mit unseren Taschen warten müssen bzw. dürfen! Das eine oder andere Bier rinnt die Kehlen runter und feine Empanadas werden verdrückt. Es reicht auch noch, um sich bei den Souvenirständen umzusehen und die eigentliche Sehenswürdigkeit des Ortes anzuschauen, eben die „Brücke der Inkas“.
Im Hotel in Los Penitentes gibt es alle Annehmlichkeiten der Zivilisation: Warme Dusche, gutes Essen, feinen Wein… nur das Internet funktioniert wieder einmal nicht…
Nachtrag:
Am letzten Abend in Mendoza werden wir von Kari Kobler zu einem Assado auf seiner Hacienda ausserhalb von Mendoza eingeladen. Ein grosses Erlebnis und ein schöner Abschluss einer über alles gesehen grossartigen Reise und Expedition rund um und auf den Aconcagua!
Marco Bomio
Bergführer
CH-3818 Grindelwald