Nachdem ich in meinem letzten Blog «Könige und Kuriositäten im Reich des Donnerdrachens» viele Besonderheiten dieses faszinierenden Königreichs ausführlich beschrieben habe, möchte ich diesmal von konkreten Erlebnissen unserer Gruppe auf einem spannenden Muli-Trekking berichten.

Nach einem unfreiwilligen Kurzaufenthalt in einem 5-Sternehotel in Dubai, verursacht durch eine massive Verspätung unseres Fluges, landeten wir schliesslich spätabends in Kathmandu und wurden von Mingmar, dem Geschäftsführer von Aktivferien in Nepal, gleich zu einem köstlichen Abendessen begleitet. Gleich nach der Kennenlernrunde wusste ich: diese Gruppe wird harmonieren, es wird Spass und Freude machen, mit diesen Leuten unterwegs zu sein. Fast alle waren untereinander schon befreundet und hatten Erfahrungen aus diversen früheren Trekkings.

Uns stand ein längeres, anspruchsvolles Trekking in der Bergwelt von Bhutan bevor, das allerdings wegen starken Schneefällen oberhalb 5000m etwas angepasst werden musste.

Zuerst besuchten wir das fast obligate Tigernest-Kloster. Wir beobachteten, mit welch bewundernswerter Ausdauer und Zähigkeit sich zahlreiche Pilger die steilen Stufen hochquälten, während wir das ganze eher als lockeres Einlaufen empfanden. Im Kloster stehen wir andächtig in einem der vielen prunkvollen kleinen Räume und beobachten, die Mönche und anderen Gläubigen beim Beten und Meditieren. Respektvoll bewegen wir uns behutsam und schweigen, damit wir diese strenggläubigen Buddhisten nicht stören. Da kommt doch tatsächlich ein einheimischer Reiseführer mit seiner Gruppe und zerstört mit seinen lautstarken Ausführungen die andächtige Stille. Wir quittieren das mit verständnislosem Kopfschütteln und wundern uns über diese Ignoranz. Alle anderen Reiseführer, auch unser Namgay, haben sich jederzeit vorbildlich verhalten und uns jeweils vorgängig genau erklärt, was erlaubt oder verpönt ist.

Anderntags treffen wir erstmals auf unser Trekkingteam. 19 Maultiere werden unser Gepäck, die Zelte, Tische und Klappstühle, die ganzen Lebensmittel und Küchenutensilien und vieles mehr die zum Teil anspruchsvollen Pfade rauf und runter tragen. Sie sind das gewohnt, sind sehr geduldig, genügsam, reagieren auf die kurzen, scharfen Kommandos und sind durchaus auch zugänglich für Streicheleinheiten. Unsere 3 Horseman Dawa, Chap Tehering und Sonam Dorji sind junge stämmige Burschen und verstehen allesamt ihr Handwerk. Sie sind auch jeweils beteiligt am Auf- und Abbau unserer zahlreichen Zelte und legen auf den langen Märschen ein beachtliches Tempo vor. Der Star der Truppe ist Leki, unser Koch. Unglaublich was er mit seinen einfachen Mitteln unterwegs für uns auf den Tisch zaubert. Es gibt jeden Tag ausser einem reichhaltigen Nachtessen unterwegs einen Hotlunch und auch dieser ist jeweils inkl. Suppe, mehrteiligem Hauptgang und Dessert. Klar, dass da jedes mal, morgens, mittags und abends auch weisser Reis dabei ist, aber wir gewöhnen uns ebenso daran wie an die oftmals scharfen Gewürze.

Beden, Tashi und Sonam, unterstützen ihn dabei, sind im «Service» tätig, kochen laufend heisses Wasser für Tee und Kaffee, oder für die Körperpflege und für die z.T. beliebten Bettflaschen. Glücklich ist, wer einen guten Schlafsack mitgenommen hat, denn nachts klart der Himmel meist auf und Minusgrade sind auf unseren Camps, die meist über 4000m liegen, keine Seltenheit. So überrascht es uns auch wenig, dass an 2 Morgen vor dem Öffnen des Vorzeltes zuerst der frisch gefallene Neuschnee abgeschüttelt werden muss.

Die täglichen Wanderungen sind in einer wunderschönen Gegend, lange folgen wir dem Lauf des Flusses Paro, durch wunderschöne Pinienwälder, offene Weiden und meist im Blickfeld von weissen Schneeriesen, über 7000m hoch.

Wir gehen langsam, weil wir die Höhe spüren, oftmals sind wir zwischen 4000 und 5000m Höhe unterwegs.

Die Wasserkraft hat in Bhutan eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung. Trotzdem verwundert es uns, dass selbst in die abgelegensten Weiler eine Stromleitung führt. Andy, der oft zu Spässen aufgelegt ist, meint denn auch neckisch zu Namgay, unserem Führer, man sollte den Jomolharitrek umbenennen in Powerline -Trek…

Immer wieder begegnen wir vereinzelten oder in kleineren Gruppen Yaks in jeder Grösse und zahlreichen Farbkombinationen. Sie sind eigentlich friedfertig, trotzdem sollte man bei Muttertieren Vorsicht walten lassen. Es ist und bleibt mir ein Rätsel, wie diese grossen Tiere ihren Nahrungsbedarf stillen. Die Böden sind äusserst karg, die feinen Gräslein kaum 1,5 cm lang. Wohl deshalb sind sie pausenlos am Fressen und lassen sich dabei auch nicht stören.

Die für diese Rinder verantwortlichen Hirten sind nie bei ihren Tieren und nirgends findet man Zäune oder Abgrenzungen. Am ehesten findet man diese Rinderhirten dann z.B. in einem Basislager, wo es einen kleinen Ofen gibt, der Wärme spendet und dort hat es dann meist ein ultrakleines Lädeli, mit Bier, Coca Cola, Mineralwasser, WC-Papier und Snickers. Ich geselle mich zu den wenigen Einheimischen, möchte von der Wärme profitieren und will mal etwas Abwechslung zum täglichen Ingwertee.

Ich gebe einer der zwei anwesenden Frauen zu verstehen, dass ich 2 Colas kaufen möchte. Sie bringt mir eine Flasche. Ich zeige ihr mit 2 ausgestreckten Fingern, dass ich 2 möchte. Sie versteht mich immer noch nicht und ihr Mann, ein Yakhirte, erklärt mir, dass sie weder lesen, noch schreiben, noch zählen kann. Aber sie kann ihr Smartphone bedienen und ihre Schwester und sie finden dauernd Filmchen, die sie zum Kichern bringen.

Unser Guide macht uns auf die an langen Schnüren aufgereihten Yakkäsestückchen aufmerksam. Wir dürfen sie kosten. Sie sind getrocknet, pickelhart, haben keinerlei Geruch oder Geschmack und müssen stundenlang, und das meine ich so, im Mund hin- und herbewegt werden, ehe sie langsam vergehen. Ist wohl eher ein Zeitvertreib der älteren Leute als ein Nahrungsmittel.

Schon eher essbar ist das luftgetrocknete Yakfleisch, aber für uns verwöhnte Schweizer immer noch etwas entfernt von einer Delikatesse.

Trotzdem macht es riesig Spass, am Boden im Kreis um den Ofen zu sitzen und diese sehr einfachen und genügsamen Leute zu beobachten. Irgendwie verständlich, dass Alkohol und Betelnussgenuss den harten Alltag dieser Menschen erträglicher machen.

Aber sie bleiben dabei immer freundlich, zuvorkommend und neugierig. Ohne grossen Wortschatz versuchen sie etwas über uns zu erfahren oder erzählen über ihr Leben.

An einem Ruhetag machen wir eine abwechslungsreiche Wanderung zu den Tsho Phhu-Seen. Wir staunen, dass wir auf über 4500m Höhe zahlreiche Enten auf den idyllischen Bergseen entdecken und können uns nicht so recht vorstellen, welche Nahrung diese hier oben finden.

Unterwegs hat es Dutzende von Murmeltieren, die sich kaum die Mühe nehmen, uns mit Warnpfiffen anzukünden. Gefahr lauert da schon eher in den Lüften: Wir sehen einen Adler seine Kreise ziehen und anderntags auch einen Geier.

Nach vielen Tagen über 4000m Höhe gelangen wir zu unserem letzten Camp auf ca. 3600m Höhe. Immer öfter und immer bunter präsentieren sich uns die wunderschönen Rhododendrenbäume, Wachholder und diverse Bergblumen. Beeindruckend sind auch die schnurgeraden und äusserst hohen Nadelbäume. Und immer wieder die Fernsicht auf zahlreiche Schneeberge, wovon nur die prominentesten und höchsten einen Namen haben.

Unvergesslich bleibt der letzte Abend mit unseren Helfern. Rund um ein prächtiges Feuer verabschieden sie sich von uns mit zahlreichen schönen Liedern, spontanen Tanzeinlagen und fröhlicher, gelöster Stimmung. Fast etwas beschämt müssen wir uns eingestehen, wie wenige Lieder wir wirklich auswendig kennen und fast immer ist nach der ersten Strophe Ende der Vorstellung….

 

In der Hauptstadt Thimphu pulsiert das Leben und die Globalisierung hält unerbittlich Einzug. Die wunderschönen buddhistischen Baumerkmale der Landhäuser werden in der Stadt alibimässig und oft deplaziert in Hotelkolosse und Zweckbauten eingestreut; oft wäre etwas weniger die bessere, ehrlichere Lösung.

Die Jugend und auch viele ältere Leute tragen Jeans statt des traditionellen Gho und hie und da wird gegen den Willen des Königs öffentlich geraucht. Traditionen verschwinden schleichend und es schmerzt, dass dieser Anfang in den Städten wohl in einigen Jahren auch auf dem Land seine logische Fortsetzung finden wird. Unser Guide Namgay stemmt sich allerdings mit aller Kraft dagegen und hat seine funktionellen Bergkleider mit dem Gho getauscht. Ausserdem hat er sich elegante Lederschuhe angezogen. Sie gefallen mir. Ich möchte mir gleich ein ähnliches Paar kaufen und frage ihn nach einer guten Adresse. Wir besuchen zusammen mindestens 10 verschiedene Schuhläden und verlassen alle mit der selben Enttäuschung: Die grösste erhältliche Schuhnummer ist 41, selten 42. Ich brauche 44. Die frotzelnde Bemerkung eines Gastes, ich lebe wohl auf zu grossem Fuss, ist da wenig hilfreich. Ich habe das dann später in Kathmandu mit den gleichen Erfahrungen nochmals versucht und wurde kurz vor der Resignation doch noch fündig. Happy man!

Da das Nationaltier von Bhutan, der Takin, nur noch äusserst selten anzutreffen ist, besichtigen wir das seltsame Tier im Zoo. Der Kopf einer Ziege, der Rumpf eines Pferdes und die Beine und Füsse einer Kuh , ungefähr so muss man sich das träge Tier vorstellen.

Auf einem wunderschönen Waldweg wandern wir zum grössten Buddha, Dordenma, in Bhutan, einem modernen Wahrzeichen von Thimphu.

Die letzten 2 Tage in Bhutan verbringen wir in Paro. Wir besuchen 2 völlig unterschiedliche Gruppen, die den Nationalsport, das Bogenschiessen ausüben. Zuerst die moderne Version in westlichen Freizeitkleidern mit amerikanischen Compoundbögen. Und anderntags die traditionell in Tracht gegeneinander antretenden Gruppen mit herkömmlichen Bögen und Pfeilen. Tröstlich, dass es das immer noch gibt und wir ergötzten uns an den verschiedenen Ritualen und Freudentänzen, die nach einem Treffer zelebriert werden.

Der abschliessende Besuch in einem alten Farmhaus ist irgendwie versöhnlich und interessant und einige lassen es sich nicht nehmen, ein traditionelles Hot-Stone-Bad zu nehmen.

Wir haben einige intensive Tage mit viel Kultur, offenen freundlichen Leuten, wunderschönen Landschaften mit intakter Natur erlebt und wünschen uns, dass die unaufhaltsame Entwicklung in diesem einzigartigen Königreich doch etwas stocken möge.

Kadrinche (Danke) Bhutan, log jay gay (auf Wiedersehen)

Ueli Schlittler, Wanderleiter SBV  2.5.2023

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Bhutans Metamorphose